Wie aus Johann B. Vianney der hl. Pfarrer von Ars wurde

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Wie aus Johann B. Vianney der hl. Pfarrer von Ars wurde

Jean-Marie Vianney mag zwar Lernschwierigkeiten gehabt und von depressiver Natur gewesen sein, aber er brachte wichtige Eignungen für den Priesterberuf mit: den unbedingten Willen, sich ganz dem geistlichen Amt und seinen anvertrauten Schäfchen hinzugeben, Frömmigkeit und Gottvertrauen – und vor allem Liebe. Seine Weihe war ein Glücksfall für die Kirche, seine Lernprobleme können jungen Theologiestudenten Hoffnung geben, und sein Leben kann Priestern und Gläubigen als großes Vorbild dienen. Aber machen Sie sich selbst ein Bild von dem, was dieser einfache Mann, trotz aller Hürden in seinem Leben vollbracht hat.

 

Die Schrecken der großen französischen Revolution tobten durchs Land. Unter Todesstrafe war es den Priestern verboten, Gottesdienst zu feiern. Trotzdem durchstreiften treugebliebene Seelsorger in den verschiedensten Verkleidungen das Land und feierten in nächtlichen Wäldern, in Scheunen, in abgeblendeten Kammern zuverlässiger Katholiken die heiligen Geheimnisse. Oft fanden solche Priester auch in das Haus des Bauern Vianney von Dardilly bei Lyon. Mit großen Augen lauschte da der kleine, 1786 geborene Johann den Erzählungen dieser Priester und nahm an den heimlichen Gottesdiensten teil. Bei solchen Gottesdiensten, wo jeden Augenblick die Gewehrkolben der Revolutionäre an die Haustür schlagen konnten, legte Johann seine erste Beichte ab und empfing die erste hl. Kommunion. Die tiefen Eindrücke, die der Knabe in dieser Verfolgungszeit in sich aufnahm, mögen wesentlich dazu beigetragen haben, in ihm den Priesterberuf zu wecken. An eine Verwirklichung dieser Sehnsucht war freilich vorerst nicht zu denken. Die Armut des Vaters machte das Studium unmöglich. Johann musste in der Landwirtschaft tüchtig mit anfassen und dem Vater einen Knecht ersetzen.

 

Nach harten Kämpfen erhielt endlich der Zwanzigjährige vom Vater die Einwilligung zum Studium. Pfarrer Ballay von Ecully nahm sich seiner an und bereitete ihn für das Seminar vor. Lehrer und Schüler wollten beinahe an einem Erfolg verzweifeln. Was Johann in stundenlangem Bemühen eingelernt hatte, war am nächsten Morgen schon wieder verflogen. Doch mit eiserner Entschlossenheit verfolgte er sein Ziel. Man wies ihn wegen seiner ungenügenden Fortschritte vom Seminar, er fiel im Examen durch, der Bischof wollte sich weigern, ihm die Weihe zu geben – alle diese Hindernisse überwand Vianney. Als Neunundzwanzigjahriger stand er am Ziel seiner Sehnsucht; er empfing im Dom zu Grenoble die Priesterweihe, freilich mit der demütigenden Einschränkung, noch nicht beichthören zu dürfen. Man traute ihm, der später der Beichtvater ganz Frankreichs werden sollte, nicht die Fähigkeit zu, schwierigere Gewissensfälle richtig behandeln zu können. Nach einem vorübergehenden Wirken bei seinem väterlichen Freund Balley erhielt er die kleine Pfarrei Ars zugewiesen, die durch ihn unsterblich werden sollte. Stolz konnte der junge Pfarrer auf seinen Seelsorgsposten nicht sein. Er fand eine recht verwahrloste Gemeinde an. Von den 25o Leuten gingen nur etliche Frauen in die Kirche. Die Männer trieben sich in den vier Schenken des Ortes herum, tranken, spielten und schafften auch am Sonntag. Die Großzahl der Pfarrangehörigen hatten die einfachsten Katechismusfragen vergessen. Es gehörte ein unbegrenztes Gottvertrauen dazu, sich auf einen solch verlorenen Posten stellen zu lassen.

 

Sofort machte sich Vianney an die Arbeit. Durch regelmäßige Hausbesuche mühte er sich, das Vertrauen der Leute zu gewinnen. Unbekümmert um manche Grobheit wanderte er von Tür zu Tür, plauderte in seiner gewinnenden Herzlichkeit von den Feldarbeiten, was er als einstiger Bauernknecht so trefflich verstand und ließ sich von den Familiensorgen erzählen. Mit der Zeit gingen die Leute aus
ihrer Zurückhaltung heraus und gewannen Vertrauen zu ihrem Pfarrer. Um sie in die Kirche zu locken, suchte er ihnen das Gotteshaus lieb zu machen. Auf den Schultern schleppte er von Lyon Statuen und Fahnen heraus, beschaffte neue Paramente, ließ eine trauliche Kapelle anbauen. Auf die Predigt bereitete er sich gewissenhaft vor, als müsste er sonntags auf die Domkanzel steigen. Um die religiöse Unwissenheit zu beseitigen, begann er jeden Morgen für groß und klein eine Christenlehre zu halten – eine Übung, die er 27 Jahre lang fortsetzte. Unermüdlich kämpfte er gegen die Dorflaster: die Trunkenheit, die Unzucht, die Sonntagsschändung. In der ersten Zeit ging manchmal sein glühender Eifer mit ihm durch und er überließ sich zuweilen unbewusst allzu sehr seinem empfindsamen,
heftigen Charakter. Mit der Zeit lernte er den Bogen weniger straff spannen, ohne
aber von seinen Forderungen abzugehen.

 

Das Hauptmittel, dessen er sich in der Seelsorge bediente, war seine Selbstheiligung durch Gebet, Fasten und Almosen. Wie viele Nächte hat der Pfarrer von Ars durchgebetet! Kurz nach Mitternacht pflegte er sich regelmäßig von seinem harten Lager zu erheben, Brevier zu beten und Betrachtung zu halten. Dann ging er in die Kirche, wo er vor dem Tabernakel dem Heiland seine schweren Anliegen
und Sorgen anvertraute. Bis zum höchsten Heroismus verwirklichte er in seinem Leben das alte Heiligungsmittel der Abtötung und Buße. Er aß so wenig, dass sein Magen sich verengte und er eine gewöhnliche Mahlzeit gar nicht mehr vertragen konnte. Wochenlang lebte er nur von Kartoffeln. Täglich geißelte er sich bis aufs Blut, trug Bußhemd und Bußgürtel, schlief nur zwei bis drei Stunden. So lebte er jahrelang, trotz mannigfacher Krankheiten und ständiger Schlaflosigkeit in
angestrengtester Arbeit.

 

Die ungewöhnliche Frömmigkeit des Pfarrers von Ars, die so ganz aus dem Rahmen des Alltäglichen fiel, weckte bei den Nachbargeistlichen anfangs Misstrauen. Als die Geistlichen sahen, wie Hunderte von ihren Beichtkindern abwanderten und nach Ars zogen, zu dem Pfarrer, dessen Unfähigkeit ihnen doch vom Seminar her bekannt war, hielten sie es für ihre Pflicht, vor dem Sonderling zu warnen. Sie schrieben kränkende Briefe an ihren Amtsgenossen in Ars, liefen beim Bischof gegen ihn Sturm, predigten von der Kanzel aus gegen ihn. Vianney gestand später selbst einmal: „In jener Zeit ließ man die Evangelien auf der Kanzel in Ruhe, und statt dessen predigte man über den armen Pfarrer von Ars.“ Wenn schon die geistlichen Amtsbrüder den Heiligen mit solchen Bitterkeiten überschütteten, kann es nicht wundernehmen, dass die Laien es bald noch ärger trieben. Sie schmähten den heiligen Pfarrer, verleumdeten ihn und gingen sogar so weit, ihm ein unsittliches Leben nachzusagen. Anonyme Zuschriften regnete es täglich ins Haus. „lch erwartete damals alle Tage“, sagte der Heilige, „dass man mit fortjagen werde. lch hatte fast mehr Kreuz, als ich tragen konnte. Da betete ich um die Liebe zu Kreuz und Leid und wurde glücklich.“

 

Als nach zehnjährigem Kampf die Menschen ihn endlich in Ruhe ließen, ja ihn täglich mehr bewunderten und verehrten, begann der Satan den Kampf gegen seinen gefährlichen Gegner. Er sah durch den Heiligen sein Reich bedroht; sagte er doch selbst durch den Mund eines Besessenen zum Pfarrer von Ars: „Gäbe es drei wie du auf Erden, es wäre aus mit meinem Reich auf Erden.“ Er ging dazu über, den todmüden Priester nachts heimzusuchen, ihn körperlich zu quälen und zu bedrohen. 35 Jahre lang hatte der Heilige diese geheimnisvollen Peinigungen Satans zu erdulden. Der Böse konnte es freilich nicht verhindern, dass der Ruf des heiligen Pfarrers von Ars durchs Land zog und immer mehr Fremde in dieses bis dahin so ganz unbekannte Bauerndörfchen rief. Allmählich setzten regelrechte Pilgerzüge nach Ars ein. Auf dem größten Bahnhof von Lyon war ein eigenes Büro für die Fahrkartenausgabe in der Richtung Ars eingerichtet worden und zwar wurden die Fahrkarten mit einem Vermerk auf acht Tage Gültigkeit ausgestellt. Solange brauchte es nämlich, um an Johannes Vianney heranzukommen und von ihm ein Wort oder die Lossprechung zu erhalten. Bei dem Massenandrang war es dem Heiligen, der täglich 12–18 Stunden Beichten hörte, nicht möglich, den
einzelnen Beichtkindern viel Zeit zu widmen. Aber er hatte die Gabe, in Menschenseelen wie in einem aufgeschlagenen Buch zu lesen, und so genügte ein kurzer Zuspruch, um in den verstocktesten Herzen das Eis zu brechen. Er wurde zum Märtyrer des Beichtstuhls. Von früh 1 Uhr saß er mit kurzen Unterbrechungen bis spät in die Nacht hinein in seinem Beichtstuhl, und die Wartenden standen in langen Reihen bis auf den Friedhof hinaus. Im Sommer war es in der Kirche so heiß, dass man dem Heiligen kalte Tücher um den Kopf binden musste, im Winter erfror er beinahe. Seine Erschöpfung war so groß, dass er einmal auf einem einzigen Gang zur Kirche viermal zusammenbrach. Welch ein Opfermut gehörte dazu, unter solchen Umständen Tag für Tag im Beichtstuhl auszuhalten! Wunder der Gnade wirkte Johannes Vianney in seinem Beichtstuhl. Sünder, die 40–50 Jahre lang nicht mehr gebeichtet hatten, fanden in Ars wieder zu Gott zurück. Ein einziges Wort, ein einziger Blick dieses Pfarrers genügte oft, um überzeugte Gottesleugner aufs Tiefste zu erschüttern. Die Verehrung, die dem einfachen Pfarrer entgegengebracht wurde, war so groß, dass die Leute im Verlangen nach einer Reliquie ihm heimlich Haare abschnitten, Stücke aus dem Talar schnitten, das Brevier entwendeten. Und bei all diesen Ehrenbezeugungen blieb er so demütig, dass er sich wie den letzten Knecht Gottes fühlte. Er wurde vom Bischof zum Ehrenkanonikus und vom Staat zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Das Domherrnmäntelchen verkaufte er für 50 Franken, um einen Armen vor Hunger zu schützen; das Kreuz der Ehrenlegion hat er nie getragen. Bei seinen täglichen Katechismusstunden waren berühmte Kanzelredner und Bischöfe seine Zuhörer – aber der Pfarrer von Ars blieb immer gleich demütig und bescheiden. Ja er fühlte sich seiner Aufgabe als Seelsorger so wenig gewachsen und bangte so vor der Verantwortung, dass er dreimal den Versuch machte, seiner Herde zu entfliehen und sich in ein Trappistenkloster zurückzuziehen, um sein „armes Leben zu beweinen.”

 

Die Geschenke, die ihm von dankbaren Menschen gemacht wurden, flossen restlos in die Taschen der Armen. Während er nachgewiesenermaßen Hunderttausende von Franken verschenkte, Waisenhäuser unterhielt, bedürftige Knaben studieren ließ, armen Familien die Miete bezahlte, lebte er selbst in der größten Bedürfnislosigkeit. Er ließ alles aus seinem Pfarrhaus hinausschaffen bis auf das Bett, zwei alte Tische, ein paar Rohrstühle, einen Ofen und einen gusseisernen Topf. Sein ganzes Leben gönnte er sich nicht eine einzige Erholungsreise. Immerfort wollte er seinen Pfarrkindern zur Verfügung stehen.

 

Zahllos sind die Wunder, die Krankenheilungen, Weissagungen, Offenbarungen in seinem Leben. Aber ist nicht sein Leben allein schon ein unvergleichliches Wunder? Hatte nicht jener einfache Winzer recht, der nach einem Besuch in Ars sagte: „lch habe Gott in einem Menschen gesehen?“